Die bisherigen Maßnahmen reichen nicht aus, um die Klimaerwärmung einzudämmen. Laut UN steuert die Welt auf einen Temperaturanstieg von 2,7 Grad zu. Was bedeutet das konkret für unsere Zukunft auf diesem Planeten?
Ende dieses Monats kommen die Staats- und Regierungschefs zur 26. UN-Klimakonferenz zusammen. Der Druck ist groß. Radikalere Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Denn die Zeit läuft uns davon. Um das Klima zu schützen, müssen viele Maßnahmen ergriffen werden – und zwar schnell.
2015 einigte sich die Staatengemeinschaft fast geschlossen darauf, die Klimaerwärmung auf 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Im Rahmen des Pariser Abkommens strebte man eine Begrenzung auf 1,5 Grad Celsius an. Doch die Maßnahmenpakete, die bislang gegen die Erderhitzung geschnürt wurden, reichen nicht. Trotz der bisher eingegangenen Verpflichtungen, die Nutzung fossiler Brennstoffe einzudämmen und Treibhausgasemissionen zu reduzieren, steuern wir laut den Vereinten Nationen auf einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von 2,7 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts zu.
Aber welchen Unterschied machen eigentlich wenige Stellen nach dem Komma aus? Eine ganze Menge, schaut man sich die wissenschaftlichen Studien an, die gerade weltweit die Auswirkungen des Klimawandels untersuchen.
Zwar mag es angesichts der Zunahme der klimabedingten Katastrophen auf der ganzen Welt so scheinen, als seien wir machtlos gegen immer längeren Dürreperioden oder verheerenden Überschwemmungen. Doch es zeigt sich zugleich: Wenn die Erderwärmung nur um wenige Zehntel Grad geringer ausfällt, könnte das Millionen Menschenleben retten. Riesige Landflächen könnten vor Zerstörung bewahrt werden. Viele vom Aussterben bedrohte Arten könnten doch überleben.
Laut dem jüngsten Berichtdes Weltklimarates (IPCC) vom August dieses Jahres ist die globale Durchschnittstemperatur seit der industriellen Revolution bereits um 1,07 Grad Celsius gestiegen. Und schon jetzt sind die Folgen deutlich sichtbar.
Meeresspiegelanstieg: Jeder Zentimeter kostet Millionen Menschenleben
So ist der Meeresspiegel laut Weltklimarat inzwischen um rund 20 Zentimeter gestiegen. Das mag erst einmal unspektakulär klingen. Aber dieser Anstieg zwingt Menschen überall auf der Welt dazu, ihre Häuser zu verlassen. Etwa in Bangladesch. Hier mussten bereits Hunderttausende vor Überschwemmungen aus tiefer gelegenen Gebieten fliehen, wie das Internal Displacement Monitoring Centre berichtet, eine unabhängige Nichtregierungsorganisation, die weltweit Daten zum Thema Binnenflüchtling analysiert.
Und die Zahlen dürften künftig weiter steigen. Denn bereits bei einer Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius wird der Meeresspiegel um voraussichtlich 48 Zentimeter, bei zwei Grad sogar um 56 Zentimeter steigen, so die britische Webseite Carbon Brief, die weltweit Klimadaten auswertet. Um die Daten zum möglichen Anstieg des Meeresspiegels zu erheben, hat Carbon Brief im Jahr 2018 insgesamt 70 wissenschaftliche Studien ausgewertet. Alle hatten das sogenannte Peer-Review-Verfahren durchlaufen, waren also vor ihrer Veröffentlichung noch einmal von unabhängigen Fachwissenschaftlern geprüft worden.
Selbst ein Anstieg des Meeresspiegels um acht Zentimeter wird demnach dazu führen, dass Millionen Menschen ihre Heimat verlieren. Laut Berechnungen des Weltklimarates ist von zehn Zentimetern, um die der Meeresspiegel ansteigt, das Leben von rund zehn Millionen Menschen weltweit betroffen.
Ein paar Grad wärmer – jede Menge Regen
“Extreme Niederschlagsereignisse” gab es schon immer, vor der industriellen Revolution etwa einmal alle zehn Jahre. Doch laut dem jüngsten IPCC-Bericht tritt heftiger Starkregen derzeit etwa um 30 Prozent häufiger auf. Bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius würde das Risiko solcher Wetterereignisse um 50 Prozent steigen, deren Schwere nähme weiter zu – und das Ganze bei einer steigenden Luftfeuchtigkeit um etwa 10,5 Prozent. Sollte die Erderwärmung bei durchschnittlich zwei Grad liegen, wird solches Extremwetter um 70 Prozent häufiger auftreten als vor der industriellen Revolution. Die Luftfeuchtigkeit wird um 14 Prozent höher sein.
Für ein Land wie Indien wären die langfristigen Folgen extrem. Nach Angaben des Versicherungskonzerns Munich Re kosteten bereits die Überschwemmungen und Erdrutsche 2018 und 2019 mehr als 700 Menschen das Leben. Der materielle Schaden belief sich demnach auf rund elf Milliarden US-Dollar, umgerechnet 9,5 Milliarden Euro. Munich Re ist ein sogenannter Rückversicherer, ein Unternehmen, bei dem sich wiederum Versicherungen weltweit, unter anderem gegen Risiken wie Unwetterschäden, absichern.
Laut Carbon Brief wäre der wirtschaftliche Schaden durch Sturmfluten und Überschwemmungen bei einer Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius rund 3,5-mal so hoch und bei einer Erwärmung um zwei Grad sogar etwa fünfmal so hoch.
Dürreperioden: immer trockener, immer länger
Während einige Regionen der Welt unter dem steigenden Meeresspiegel, Sturmfluten und Starkregen leiden, wird es anderswo immer trockener. Die Folgen sind ebenso verheerend. Bereits 2018 hatte der Weltklimarat vorgerechnet: Wenn es gelingt, die Erderwärmung, statt auf zwei auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, würden nur halb so viele Menschen durch akuten Wassermangel bedroht sein.
In seinem jüngsten Bericht stellt der IPCC fest, dass Dürren, die vor der industriellen Revolution nur einmal pro Jahrzehnt auftraten, heute um 40 Prozent wahrscheinlicher sind. Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius werden sie doppelt so häufig auftreten, und bei einem Anstieg um zwei Grad Celsius 2,4-mal so häufig.
Laut Carbon Brief verlängert sich die durchschnittliche Dauer einer Dürreperiode bei einer Erwärmung um 1,5 Grad um zwei Monate, bei zwei Grad um vier Monate und bei drei Grad gar um zehn Monate.
2019 meldete das Welternährungsprogramm, dass im “Trockenkorridor” Mittelamerikas etwa 2,2 Millionen Menschen Ernteeinbußen erlitten hatten. Gründe waren heftige Dürren und fünf aufeinanderfolgende Jahre unbeständigen Wetters. Im Februar dieses Jahres stieg diese Zahl auf fast acht Millionen Menschen. Denn nun kamen noch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie hinzu sowie die Folgen der Hurrikans Eta und Iota, die die Region im November 2020 heimgesucht hatten.
Wie die Zukunft der Region aussehen wird, hängt auch von den Klimaschutzmaßnahmen ab, die angegangen werden. Laut Carbon Brief wird sich bei einer Erwärmung um 1,5 Grad die durchschnittliche Dauer der Dürren in Mittelamerika um fünf Monate verlängern, bei einer Erwärmung um zwei Grad um acht Monate und bei drei Grad um 19 Monate.
Kleine Zahlen, große Wirkung
Zu Dürre und Trockenheit kommen Hitzewellen. Das sind nahezu perfekte Bedingungen für riesige Brände, wie sie in den vergangenen Jahren von Kalifornien bis Südeuropa, von Indonesien bis Australien ausgebrochen waren. Laut IPCC könnte eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zu zwei Grad die Zahl der Menschen, die häufig extremen Hitzewellen ausgesetzt sind, um etwa 420 Millionen verringern.
Die Auswirkungen dieser scheinbar geringen Erwärmung auf unser Leben sind enorm und dennoch kaum zu greifen. Sie können politische Spannungen in einer Weise verschärfen oder auslösen, die nur schwer vorhersagbar ist. Was sich jedoch mit ziemlicher Sicherheit sagen lässt: Beim Thema Klimawandel bedeuten kleine Zahlen einen gewaltigen Unterschied. (DW, NN 20. Okt. 21)