NN-Unterwegs: Fahrendes Volk lädt ein
Die Künstler und Händler der Gypsy Fairs und Extravaganzas bringen Neuseeland seine vermutlich buntesten Wochenenden. Sie haben ihre Alternative zur klassischen Sesshaftigkeit gesucht und gefunden, sind dauerhaft Reisende und doch immer im Handumdrehen zurück in den heimeligen vier Wänden – denn ihr Zuhause hat Räder, und sie nehmen es einfach mit dorthin, wo ihr gemeinsames Marktprojekt als nächstes Station macht.
Liebevoll umgebaute und bemalte Busse stehen dann neben den typisch neuseeländischen housetrucks mit ihren eigens angefertigten Aufbauten, und immer wieder bleiben sehnsüchtige Blicke Außenstehender an ihnen hängen. Wie viele von uns träumen schließlich (wenngleich oft nur heimlich) davon, Haus und Bürojob wenigstens zeitweilig gegen so etwas wie die Freiheit einer hippie community einzutauschen und das Leben einmal ganz anders zu erfahren…!
“Erfahren” wird das Leben (und nebenbei das Land) von den gypsies ja tatsächlich in doppeltem Sinne. Durch ihr cooperatives Unternehmen und die Einnahmen daraus können sie ihre gewählte Lebensweise beibehalten und als fahrendes Volk sich selbst und anderen Freude bereiten – heute hier, morgen dort. Wer das Gelände einer Gypsy Fair betritt, der wird unmittelbar vom Charme des Marktes eingenommen.
An einem nostalgischen Kinderkarussell drehen sich Pferdchen im Kreis, während gegenüber Lederwaren unter einer Markise an der Längsseite eines housetrucks verkauft werden. Schmuck und Kleidung kommen in allen Farben des Regenbogens daher und decken hinsichtlich ihrer Stilrichtungen vor allem, aber wahrlich nicht nur die Wünsche potentieller Blumenkinder ab. An anderen Ständen stehen handgefertigte Anhänger aus Knochen und Jade (greenstone) zum Verkauf, während auf der anderen Seite der Wiese ausrangiertes Besteck in Armreifen, Halsschmuck und Schlüsselhalter verwandelt wird.
Und Kinder können gleich ihr ganzes Gesicht mit einem face painting schmücken lassen. Die Vielzahl der Talente und kreativen Ideen inspiriert und fasziniert. Da sind mit frechen Mottos bemalte Kühlschrankmagnete, Schilder furs Kräuterbeet aus alten Esslöffeln, Glasbläserkunst und selbstgemachte “devil sticks” für Nachwuchsjongleure. Alternative Kosmetika fehlen ebenso wenig wie einheimischer Honig, und die Holzspielsachen und Laubsägearbeiten lassen nicht nur Kinderherzen höher schlagen.
Ob vielleicht im eigenen Schicksal unerkannt auch eine große Reise, ein handwerkliches Talent oder gar eine Abkehr vom etablierten Dasein schlummert …? Wer’s wissen will, lässt sich die Karten legen oder aus der Hand lesen. Und wem das zu unheimlich ist, der kauft vielleicht beim Kerzenzieher für die nächste Geburtstagstorte ein und pustet am Tag des Wiegenfestes so kräftig, dass zumindest der wichtigste Wunsch erst einmal in Erfüllung geht.
Eine Pause tut gut für die, die so viele farbenfrohe Eindrücke erst einmal auf sich wirken lassen wollen. Vor Karlos’ Bühne kann man sich dann niederlassen und ihm zuhören, wie er seine Lieder vom Leben, vom Reisen und natürlich von der Liebe auf der Gitarre begleitet. Seinem Kollegen, dem Spielzeugmacher, hat er einen eigenen Song gewidmet.
Oder man lässt sich in einen der Sitzsäcke vor dem knubbelig-kleinen coffee caravan fallen, mit einem heißen oder kalten Getränk oder einem Eisbecher in der Hand … und träumt davon, dass der passionfruit yoghurt smoothie so etwas wie eine Verheißung ist. Frisch und exotisch wie das Leben in Neuseeland, an dessen Strand man ja vielleicht doch eines Tages wohnen wird … und falls das nicht klappt, kann man sich hoffentlich immer noch einen housetruck kaufen. Maike Brünink