Der neuseeländische Journalist und Schriftsteller Alan Mulgan (1881-1962) wuchs als Nachfahre englischer und irischer Siedler auf. Seine Kindheit und Jugend waren geprägt vom Bewusstsein der Vorväter, dass alles Britische per se besser und erstrebenswerter war als das, was Neuseeland aus eigener Kraft hervorbrachte. Doch mit zunehmendem Alter wurde Mulgan klar, dass Neuseelands Selbstverständnis nicht das eines Ablegers Großbritanniens sein konnte und durfte. Sein Heimatland, so schrieb er schließlich 1958 in The Making of a New Zealander, “has its own sights and sounds and scents; […] its own legends and folk-lore; […] its own soul”.
Zu diesen ureigenen neuseeländischen Wesenszügen, deren Bedeutung Mulgan als einer der Ersten öffentlich herausstellte, gehört in besonderem Maße das kulturelle Erbe der Maori. Heute ist Mulgans Erkenntnis gelebte Selbstverständlichkeit. Neuseelands nationale Identität ist untrennbar verbunden mit der Kultur und Geschichte der Maori – und kein Besucher des Südpazifikstaats braucht lange, um das zu begreifen. Der allererste Zugang zur neuseeländischen Bikulturalität gelingt ganz leicht und unmittelbar, ohne Suchen und Forschen, und sogar ganz ohne Worte – nämlich über die Sprache der Symbole.
Das wohl bekannteste unter ihnen ist koru, dem der junge Farntrieb vor seiner Entrollung zum Blattwedel Modell stand. Seine Spiralform verkörpert die Ideale der Harmonie und der Perfektion, doch in erster Linie steht koru für Neuanfang, Wachstum, Hoffnung und Erwachen. Diese inspirierenden Assoziationen sorgen dafür, dass koru allenthalben in Neuseeland zu finden ist: Das Umweltministerium trägt es ebenso im Logo wie die Fluggesellschaft Air New Zealand, Friedensreich Hundertwasser wählte es 1983 zum Hauptelement seines Alternativvorschlags für eine neuseeländische Flagge, und die Romance Writers of New Zealand (RWNZ) verleihen den Koru Award für den beliebtesten Liebesroman.
Zudem ziert das schlummernde Farnblatt unzählige Caféschilder, Fassadenmalereien, T-Shirts, Kühlschrankmagnete und natürlich Schmuckstücke neuseeländischer Herkunft. Der Glücksbringer schlechthin ist hei matau, der Angelhaken. Die Maori, erfahrene Seeleute und Fischer, nutzten traditionell das Meer als Hauptnahrungsquelle. Ein robuster und sorgfältig gearbeiteter Angelhaken war somit von immenser Bedeutung für den Fortbestand der Familien.
Wer mit einem ansehnlichen Fang heimkehrte, bescherte seinen Lieben Wohlstand und gute Gesundheit – Lebensziele, die hei matau bis heute symbolisiert. Ebenso werden Kraft und Kompetenz mit der sachkundigen und erfolgreichen Nutzung des Fischerhakens in Verbindung gebracht. Und da hei matau grundsätzlich den Respekt vor dem Meer ausdrückt, soll er für Sicherheit beim Überqueren von Wasser sorgen, wenn Reisende ihn als Anhänger am Hals tragen.
2012 brachte New Zealand Post eine Goldmünze heraus, auf deren Vorderseite hei matau geprägt ist. Die Rückseite des Sammlerstücks ziert das Konterfei von Queen Elizabeth II – eine Würdigung des bikulturellen Staatserbes im Miniaturformat.
Beliebt als Sinnbilder für Beziehungen sind Schlaufenmotive, einfach (pikotahi), doppelt (pikorua) oder sogar dreifach gewunden. Sie stehen für ewige Verbundenheit, die Menschen immer wieder zusammenführt, egal welche verschlungenen Wege ihre Leben zwischendurch nehmen mögen.
Während sich in pikotahi zwei Individuen wiederfinden, umfasst pikorua mehrere Beteiligte, so wie es in Beziehungen zwischen Völkern, Kulturen oder Staaten der Fall ist. Nicht umsonst findet man pikorua darum in Logos von Schulen oder Tourismusveranstaltern – und pikotahi an den Halsketten vieler bester Freundinnen oder geliebter Partner. Maike Brünink