„Da fliegt man einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, bis man da ist!“
Eine zerfledderte Straßenkarte in der Hand, den inneren Kompass auf „Freiheit“ und „Abenteuer“ gestellt, und satte drei Monate Zeit. So standen mein fünfjähriger Sohn Joost und ich an einem Februarmorgen auf einem Campingplatz in Christchurch. Neuseelands Straßen riefen, und wir konnten es kaum erwarten, ihnen kreuz und quer über beide Inseln zu folgen. Wohin sie uns führen sollten, dazu hatten wir uns vorab durchaus ein paar Gedanken gemacht – schließlich sollten Fahrten mit der Taieri Schluchtenbahn in Dunedin oder mit dem Cable Car in Wellington nicht verpasst werden.
Unseren tatsächlichen Weg jedoch fanden wir überwiegend während wir ihn fuhren. Spontan änderten wir Pläne, nahmen Abzweigungen und Umwege oder ließen sie weg, bekamen Tipps oder hatten eigene Ideen – und entwickelten so letztlich unsere Route auf beste neuseeländisch-norddeutsche Weise: „nach Gefühl und Wellenschlag“.
Unser sleepervan war einer der kleinsten seiner Art, recht betagt und mit einfachsten Mitteln ebenso raffiniert wie liebevoll für seine Mission ausgerüstet worden. Er passte zu uns, denn genau wie unser Gefährt waren wir irgendwie anders.
Für work & travel zu alt, respektive zu jung, für den Wohnmobilurlaub mit Badezimmer und Gefrierschrank an Bord weder reich noch bürgerlich genug, und auch sonst schwer einer der gängigen Konstellationen Neuseelandreisender zuzuordnen. Doch genau das war oft Anlass für besonders schöne Kontakte und Gespräche, denn von der alleinreisenden deutschen Mutter mit Kind (sehr ungewöhnlich!) wollte so mancher gern wissen, was sie nunmehr bereits zum fünften Mal (schon etwas weniger ungewöhnlich) in Neuseeland machte.
Ja, was machte ich dort? Zwei Gründe gab es, warum ich Flugtickets nach Aotearoa gekauft hatte. Der erste Grund war Joost. Ich wünschte mir, dass mein Sohn Neuseeland und meine Freunde dort kennen lernt. Und ich wollte zusammen mit ihm einen Schatz heben – eine große Truhe voller Erlebnisse und Erfahrungen in einer ganz besonderen Ecke der Erde. Wir haben diese Truhe gefunden und randvoll mit nach Hause genommen (zum Glück braucht sie nur in unseren Köpfen und Herzen Platz, denn in unserer Wohnung würde es ansonsten eng werden …!).
Öffnet man sie, fallen sofort die ersten Erinnerungen heraus – ans Muschelsammeln an menschenleeren Stränden, ans Hüpfen über Hängebrücken in den Bergen oder an Aucklands abertausend Lichter aus der Sky Tower-Perspektive. Andere Bilder zeigen Flora und Fauna, denn Joost sah Pinguine, verliebte sich in die frechen Keas und umarmte einen gewaltigen kauri tree im Waipoua Forest (oder versuchte es zumindest).
Vielleicht kommen wir umgekehrt auch in den Erinnerungstruhen einiger Wanderer vor, die am selben Tag wie wir in der Routeburn Falls Hut übernachteten. Dort oben auf 1000 Metern Höhe war der kleine deutsche Junge nämlich die erklärte Attraktion – als der Hüttenwart ihn erspähte, rief er aus: „What have we got here – a hobbit?!“
In unserer Truhe schließlich gibt es noch die Bilder jener Momente, in denen wir uns ausruhten von den Abenteuern des Untwerwegs-Seins. Dann löffelte Joost genüsslich in einem Café die Marshmallows von seinem fluffy, während ich meinen Gedanken über einem flat white coffee nachhing.
Und da fällt mir ein, dass ich noch den zweiten Grund unserer Reise nach Neuseeland schulde. Der ist schnell erklärt: Ich fühle mich dort zu Hause. Und zu Hause sollte man ab und an vorbeischauen. Am besten in Begleitung der Familie. M.B.